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Geld

Aktualisiert: 3. Sept. 2022

Es regiert angeblich die Welt, manche halten es für dreckig, anderen bedeutet es Macht, Sicherheit, Freiheit oder Glück, einige halten es für die Ursache allen Übels der Welt, eine Religion, nüchterne sehen es als Energie oder einfach als Massstab, Aufbewahrungs- und Tauschmittel. Über Geld spricht man nicht – und doch wurde schon ausgiebig darüber geschrieben. Klar ist: wir haben es erfunden – und gegenwärtig ist es kaum wegzudenken; auch wenn dies Utopist*innen durchaus zustande bringen. Als Zukunftsforscher*innen, stets interessiert an „Treibern“, also an den Kräften, welche Zukunft formen, kommen wir wohl kaum an diesem Phänomen vorbei.



So selbstverständlich Geld auch sein mag – so ganz einfach fassbar scheint es als Phänomen nicht. Mit welcher Brille will mensch sich diesem Phänomen annehmen? Was würde es heissen, Geld zu verstehen? Sicher würden wir seine Geschichte kennen und verstehen „wie es funktioniert“. Auch würden wir nicht dabei bleiben – denn viel interessanter scheint, was es mit uns macht, welche Gestaltungskraft Geld hat, was es im grösseren Kontext der menschlichen Gesellschaft bewirkt und wie es auf uns als Individuen wirkt. Und nicht zuletzt: wie soll es weiter gehen? Bleibt Geld eine Konstante der nächsten Jahrhunderte? Oder wird es verschwinden – oder sich wandeln? Und wie könnte es sich wandeln?

Peter Koenig hat mehr als dreissig Jahre lang Geld erforscht. Seine Meta-Definition ist ein guter Einstieg: „Geld ist jegliches Medium, welchem wir eine Idee oder Qualität zuschreiben können – und zwar in solcher Weise, dass diese transferierbar, austauschbar und zählbar zu sein scheint.“ Hinzu kommt der Akt der Schöpfung. Dieser besteht darin, jemanden (viele) davon zu überzeugen, dass etwas (das Medium) tatsächlich einen Wert (Qualität) in diesem Sinne hat. Dazu braucht es eine einleuchtende Geschichte.

Das Medium ist uns – mehr oder weniger – bekannt: klassisch wäre dies das Stück Papier oder Metall. Neuerdings wohl eher Plastik bzw. Code. Mit der Qualität wird es schon schwieriger – welche Qualität wird hier genau transferierbar und zählbar? Klar scheint: einen bestimmten Wert haben. Aber welchen? „Sich ein Stück nehmen zu dürfen“? Leistung? Oder eben doch Macht, Sicherheit, Freiheit, Glück? Alles davon? Können wir das jetzt zählen? Dann 50.- Freiheit bitte – und 100.- Glück!

Dass uns – vielleicht abgesehen von abgeklärten Ökonom*innen – bei genauerem Hinsehen nicht ganz klar ist, welche Qualität hier transferierbar wird, mag mit ein Grund sein, dass es sich so gut eignet, ganz beliebige Qualitäten darauf zu projizieren. Dies zumindest befindet Koenig weit interessanter als die abstrakte Definition. Die eingangs genannten Qualitäten werden jedenfalls erstaunlich oft genannt, wenn man fragt, was denn Geld bedeute.

Vielleicht sind wir verdutzt wie Fisch über Wasser, weil Geld unsere Gesellschaft viel intimer durchdringt als uns bewusst ist? Indizien dafür liefert u.a. unser Sprachgebrauch. Verlieren wir beispielsweise unseren Job oder unsere Ersparnisse, reden wir oft davon, unsere Existenzgrundlage verloren zu haben. Geld also, scheint unsere Existenz zu sichern – eine unglaubliche Macht! Der Zauber des Geldes erlischt nicht einfach mit der Feststellung, dass dies nicht stimmt – wir hören nicht in dem Moment auf zu existieren, wenn unser Kontostand auf 0.- sinkt. (Noch viel witziger – und absurder – wäre eine negative Existenz bei negativem Kontostand.) Doch die Angst davor kein Geld zu haben, die Ungewissheit, wie mensch denn ohne Geld existieren soll, bleibt.

Diese ungeheure – einerseits offensichtlich fiktive und doch so reale, da wirkende, Macht, scheint in der Natur des Geldes angelegt. Wir projizieren solch wünschenswerte (oder abscheuliche) Eigenschaften auf dieses Medium. Selbst wenn wir einsehen, dass Geld unsere Existenz nicht sichert (und uns nicht frei, glücklich oder sicher macht), kommt gleich darauf das „aber,…“ – und wir meinen damit in etwa: „aber irgendwie tut es dies ja doch!“

Wie wurde Geld zu diesem scheinbar magischen Phänomen? Eine kurze Geschichte des Geldes würde in etwa so lauten: bereits in prähistorischer Zeit waren Frühformen des Geldes als Warengeld wie Muscheln, Vieh oder Getreide in Gebrauch und wurden als Zahlungsmittel – insbesondere aber zum Festhalten von Beiträgen und Schulden eingesetzt. Vor ca. 2700 Jahren wurden die ersten Münzen geprägt, dann kam Papiergeld – in Europa im 17. Jh.; China bereits im 11ten. Bald darauf kam das Buchgeld durch öffentliche Girobanken. Daraus entwickelten sich im 19. Jh. Notenbanken und Geld wie wir es (noch) kennen.

Die kurze Geschichte hilft uns keinen Deut weiter – u.a. da der Teufel bzw. die Magie im Detail steckt. Und auch, weil solche Geschichten ohne Kontext nichts verstehen helfen. Dazu braucht es akribischere Forschung wie sie beispielsweise David Graeber in „Schulden – die ersten 5000 Jahre“ präsentiert hat. In gewohnter Manier zerschlägt Graeber auf dem Weg auch hartnäckige Mythen

Einer davon: bevor wir Geld erfunden haben, mussten wir per Tausch handeln. Das war äusserst beschwerlich – der Bauer wollte Sandalen, doch der Schuhmacher hatte bereits genug Kartoffeln. So schleppten angeblich unsere Vorfahren ihre Waren täglich auf den Markt, um ernüchtert festzustellen, dass sie damit nicht erhielten, was sie wollten. Dann kam Geld und jetzt funktioniert das einwandfrei. Tatsächlich gab es weder diesen Markt, noch genau dieses Problem. Nicht der einzige Fall in welchem wir unseren Vorfahren erstaunlich weltfremde Dummheit zuschreiben. Die Menschen haben u.a. einfach angeschrieben – kennen manche noch von ihrer Stammbeiz – zum Beispiel auf Kerbhölzer, Tontafeln oder per Knoten auf einer Schnur. Funktioniert, weil mensch sich kennt und soweit vertraut, dass Versprechen eingelöst werden. Kredit war ein Vorfahre des Geldes, nicht direkter Tauschhandel.

Damit sind wir allerdings noch nicht bei Münz- oder Papiergeld. Dieses hatte nach Graeber einen anderen Hintergrund: als sich so etwas wie Staaten formierten, bzw. Herrscher etablierten und Heere aufstellten, wurde das Anschreiben etwas schwieriger: den Soldaten, der morgen in die Schlacht zieht, lässt man kaum ein paar Biere anschreiben. Und so musste etwas von Wert gefunden werden, das nicht von Beziehung und Vertrauen abhängig ist – oder nicht direkt. Die Münze hatte den Wert mehr oder weniger als Stück Material. Hinzu kam eine Prägung, die besagt wem man hiermit vertraut: meist einem König oder Kaiser.

Auf dieser Linie differenzierte sich diese persönliche Vertrauensbeziehung in eine mehr und mehr abstrakte, bürokratische Struktur, materialisiert durch Staaten, Handelshäuser und Banken. Lange Zeit folgten wir noch der Idee, dass Geld doch mit einem tatsächlichen Wert – so fragwürdig auch dieser sein mag – gedeckt sein sollte. Also als Gutschein für etwas Gold, sollte auch etwas Gold vorhanden sein. Dieser Goldstandard wurde um 1930 in den grössten Staaten aufgegeben – und als Nixon 1971 die Anbindung des US-Dollars an Gold beendete, fiel auch die indirekte Golddeckung des Bretton-Woods Abkommen zusammen. Nach Graeber der „Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann“. Heutiges Bargeld wird durch Zentralbanken per fiat erschaffen – eine „Schöpfung aus dem Nichts“ die nicht nur Goethe magisch anmuten würde. Bargeld stellt allerdings nur einen kleinen Teil des Geldes dar. Etwa zehnmal mehr Geld wird als Giralgeld durch Kreditvergabe der Banken geschöpft.

Geld in der heutigen Form – und von den Produkten der darauf basierenden Finanzindustrie gar nicht gesprochen – hat also eine zweifache Abstraktion vollzogen. Zum einen wurde die Schuld bzw. das Versprechen aus der persönlichen Vertrauensbeziehung herausgelöst, zum anderen wurde der Bezug zu einer konkreten Realität zunehmend entkoppelt. Der Wert der globalen Derivate übersteigt bei weitem die Gesamtheit aller anderen Werte – von Geld aller Formen, Gold, Staats-, Haushalts- und Firmenschulden, Immobilien und Firmen.

Vielleicht vermag dies zumindest teilweise erklären, warum wir in Geld Eigenschaften suchen, die wir beileibe auch ohne Geld sein (oder nicht sein) können: frei, sicher, glücklich. Die losgelöste Abstraktion lässt es zu – und ermöglicht den Anschein, dass wir uns ja damit alles kaufen können; man muss es halt nur haben, das Geld! Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende und der Möglichkeitsraum noch kaum berührt.

Die Geld-Geschichte glauben wir als Kollektiv, der Zauber hat uns (fast) alle befallen – sonst funktioniert diese Verheissung nicht in dem Ausmass. Die Konsequenzen des kollektiven Zaubers haben sich tief in unsere Strukturen und Prozesse, Ansichten und Haltungen gegraben. Geld, welches per fiat entsteht bedeutet Schulden. Und diese verlangen Zinsen. Um diese zusammen mit dem Kredit zurück zu zahlen, muss mehr Wert erschaffen werden. Dieses Mehr verlangt Wachstum. Womöglich einer der Gründe warum wir so notorisch auf Wachstum aus sind – als hinge unser kollektiver Wohlstand, ja unsere Existenz – davon ab.

Doch woher kommt der Wohlstand? In der dominanten Ökonomielehre wird dieser per BIP gemessen – eine glücklicherweise immer brüchigere Idee. Doch seis drum. Genau solche Ökonomen wollten in den 50iger den Wohlstandswachstum der letzten Jahrzehnte mit den Faktoren Arbeit und Kapital (ja genau diese berühmten „Kontrahenten“) erklären. Mit ihrem Modell kamen sie auf gerade 13% des tatsächlichen Wachstums. Wodurch kam der Rest zustande? Die Antwort fand man erstaunlicherweise erst gut 50 Jahre später – ja so ausgeklügelt waren/sind die ökonomischen Modelle dieser Zunft: „externe“ Energie (und Material), mehrheitlich aus fossilen Quellen. Das Wachstum, welches unseren Wohlstand erbringt entstand also weitgehend aus der Extraktion gespeicherter Sonnenenergie. Mit den bekannten Konsequenzen. Stimmen diese Zusammenhänge – zumindest der Spur nach in dieser vereinfachten Form – so vermögen wir zu sehen, welch Potential darin liegt, die Geschichte des Geldes neu zu erzählen. Und damit meine ich: neu zu gestalten.

Dass Kapital nach Zins und Dividende verlangt ist sicher ein Faktor für die beinahe unhinterfragte „Notwendigkeit“ von Wachstum; auch wenn nicht der einzige. Bleiben wir dabei, können wir uns noch die „green-growth“ Frage stellen: vermögen wir das Wachstum von der immensen Extraktion (Material, Leben, Raum, Boden) und Zumutung (CO2, Chemie, Abfall, Lärm) gegenüber der Natur entkoppeln? Falls nicht, bedeutet Wachstum schlichtweg die Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Oder aber wir hinterfragen Wachstum – und damit sicher die Gestalt des Geldes und der Finanzwirtschaft. Solche Reflektion würde uns auch tiefer führen – tief in die Gefilde der Philosophie oder einfach des reflektierten Lebens: denn was heisst eigentlich Wohlstand, was ist eigentlich von Wert, was wollen wir wirklich? Ideen, Vorschläge und Alternativen gibt es reichlich – was es jetzt braucht ist, diese in der Mitte der Gesellschaft ernsthaft zu erwägen.

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