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Die Zukunft…

Aktualisiert: 2. Sept. 2022

Die Zukunft ist bereits hier – sie ist nur nicht gleichmäßig verteilt.“ bemerkte einst der Science-Fiction Autor William Gibson.


Musk, Bezos, Branson – die Milliardäre wollen auf den Mars und zu den Sternen, bauen sich ihre Raumflotten, Gates will lieber per Stiftung die Welt retten, indem er in zukunftweisende Technologien und Ressourcen investiert. Die mächtigen Digitalkonzerne kreieren eine schöne neue Welt für uns. Da werden unsere Wünsche von den Lippen gelesen und Kriminalität unterbunden noch bevor sie geschieht. Und wir werden unsterblich – sei es weil wir an den Genen rum-crispern bis Alter und Krankheit besiegt sind – oder, ginge es nach Ray Kurzweil, werden wir einfach unser Bewusstsein in die Cloud laden, wo wir ja eh schon die ganze Zeit rumhängen.


Nun, genau dies ist nicht die Zukunft der Mehrheit. Die, so warnen nicht nur Harari und Precht, dürfte sich mit einiger Wahrscheinlichkeit innert weniger Jahrzehnte ohne Arbeit vorfinden. Das ist die Kehrseite der oft gehypten vierten industriellen Revolution, der Digitalisierung und Automation. Ganz zu schweigen von denen, welche sich jetzt schon am unteren Ende der globalen kapitalistischen Hierarchie befinden – die Klimakatastrophe wird sie wohl weit heftiger treffen als uns Privilegierte.

Müssen wir uns so die Zukunft vorstellen? Eine Oligarchie entwirft sich eine technologie-getriebene Utopie und lässt den Rest in den Konsequenzen genau jener Prozesse schmoren, welche dieser Elite den Status und dessen Möglichkeiten lieferte?

Nein, müssen wir nicht. Allerdings bedarf es dazu einen anderen Umgang mit Zukunft. Wollen wir Zukunft mitgestalten, verlangt dies, dass wir durch die Utopien und Dystopien hindurch, tief in die darunterliegenden Treiber, die Kräfte und Prozesse blicken, welche die Zukunft formen. Dabei nur Technologien und ihr Potential zu extrapolieren greift zu kurz. Es sind nicht bloß Technologien, welche Zukunft gestalten – und selbst wenn; deren Nutzung ist stets abhängig vom Kontext. Das vergessen so manche – sei es, wenn sie von smart-wasauchimmer schwärmen aber auch jene, die den Teufel an die Wand malen, wenn es um KI, 5G, CRISPR oder dergleichen geht. Den sehr generellen Kontext und damit auch die Herausforderung auf den Punkt gebracht hat u.a. Edward O. Wilson, amerikanischer Soziobiologe:

Wir haben paläolithische Hirne, mittelalterliche Institutionen und gottgleiche Technologien.

Der Umgang mit diesen gottgleichen Technologien also liegt in unseren institutionellen Händen, deren Lücken und dem Macht- und Ressourcen-Gef


üge das damit kreiert wird. Und – zumindest solange wir nicht tiefgreifende und flächendeckende Manipulationen der «menschlichen Natur» vornehmen – operieren wir mit den biologischen, neurologischen und sozio-kulturellen Ausstattungen, welche uns die Evolution mitgegeben hat. Diese hat sich bekanntlich nicht für das Milieu der modernen Welt entwickelt.

Mit diesem explosiven Mix stellt die Zukunft an dieser Stelle in der Geschichte höchst existenzielle Fragen. Sie sind nicht wirklich neu – die Größenordnung und Relevanz allerdings schon. Es sind alte Fragen der Kategorie „Worum geht es eigentlich?“ „Wer sind wir bzw. wer wollen wir sein?“ „Was ist wertvoll, was ist wichtig?“ „Was sollen und wollen wir tun?“. Neu dürfte allerdings sein, dass wir so mächtig geworden sind, dass wir diese nicht bloß philosophierend, experimentierend und forschend erkunden, sondern Antworten beinahe per fiat Wirklichkeit werden lassen können. Der Zauberlehrling sei uns eine Mahnung. Die „falschen“ Antworten könnten verheerend sein. Was heißt dies nun für unseren Umgang mit Zukunft?

Aus dieser Flughöhe betrachtet scheint klar: wir brauchen eine Kultur – oder noch besser Kulturen, welche auf Weisheit gründen. Weisheit besitzt Qualitäten, die wir brauchen, um „richtige“ Antworten auf solche Fragen zu finden. So bedingt Weisheit eine gewisse Demut, insbesondere epistemische. Sie sieht, dass wir mit dem, was wir zu wissen glauben, falsch liegen könnten, und mit welcher Leichtigkeit wir irreführenden Denkmustern unterliegen. Falsche Annahmen plus falsche Denkmuster ergeben kein Richtig. Die Ungewissheit der Zukunft sowie die Folgenschwere der anstehenden (kollektiven) Entscheidungen verlangt solche Demut. Mit solcher Haltung könnten wir uns gegenseitig helfen, besser zu denken – wahrzunehmen, Schlüsse zu ziehen, Konsequenzen zu antizipieren. Dies wäre denn auch ein Weg, unsere „p


aläolithischen Hirne“ einem Update zu unterziehen, ohne einen Chip zu implantieren. Weisheit kann mit Werten umgehen. Sie fragt nach und weitet die zu kurz geratenen Antworten.

Was wichtig ist hat Wert? – Wert sollte haben, was wichtig ist. Geld, Wirtschaftswachstum, Wohlstand kann kaum eine ernsthafte Antwort, sicher keine abschließende sein. Doch was ist wirklich wichtig? Werte müssen abgewogen, in Beziehung, Kontrast und Kontext gesetzt werden. Zu leicht entstehen sonst Ideologien der Absolute, mit bekannten fatalen Konsequenzen. Weisheit sollte vermögen, situative Relevanz verschiedener Werte und Perspektiven mit Blick auf das große Ganze zu sehen. Wie könnten wir solcherlei Bedacht und Umsicht institutionalisieren?

Wir müssen allerdings noch tiefer tauchen: Weisheit kennt die Macht unserer Mythen, Geschichten und Vorstellungen. Sie sind mindestens so formend wie die offensichtlichen Technologien – oft aber subtiler. Die Wirkung von Geschichten wie Geld, Gott oder GmbH ist auch dadurch so groß, weil sie uns oft nicht als solche scheinen. Die Macht, den menschlichen Geist auszurichten – unsere Vorstellungskraft, Aufmerksamkeit, unseren Fokus – ist so zukunftsgestaltend wie kaum eine Technologie. Höchst gefährlich ist die Kombination: das Kapern des menschlichen Geistes mit Hightech-Propaganda. Hier lauert wohl eine der größten Gefahren – und ebensolches Potential.

Vielleicht genau jetzt, in diesem historischen Mome


nt, gemeinsam in diese Tiefe zu dringen und von hier, wo Identitäten, Werte, Zwecke und Intentionen ins geistige Leben gerufen werden, zu weisen Zukunftsgestalter*innen werden? Könnte dies ein Weg sein mit Zukunft umzugehen? Ich wünsche mir, wir würden mit größtmöglicher Weisheit diese Vorstellungs-Kraft auf die kühnsten „guten“ Visionen dessen ausrichten, was wir wirklich sein wollen. Und damit Zukunft gleichmäßiger verteilen – und so für Viele, besser noch Alle (ich denke hier nicht nur an Menschen) die Möglichkeiten bereiten, ein sinn- und würdevolles Leben in Eigenregie zu führen.


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