Der Mensch ist das Problem. So vernehmen wir es zumindest oft, wenn es um unsere globalen Herausforderungen wie die Klima- und Biodiversitätskrise, die Kriege oder die ökonomische Ausbeutung und Ungleichheit geht. Die Probleme bestehen und sind äusserst lösungs-resistent, weil der Mensch so ist wie er ist: egoistisch, ignorant, faul, aggressiv, gewalttätig – böse.
Rudger Bregman behauptet in «im Grunde Gut» in etwa das Gegenteil. Der Mensch habe sich selbst zu einem «homo puppy» (Welpe) gezüchtet, also einem niedlichen Wesen, selektiert nach den netten Eigenschaften. Dies zeige sich u.a. an den eigentlich verblüffenden Eigenheiten, dass wir unsere Emotionen demonstrieren, indem wir erröten können oder unsere Blickrichtung anzeigen durch die weisse Sclera. Der Mensch ist nach Bregman evolutionär auf Kollaboration und Empathie ausgerichtet und zieht statistisch gesehen die gegenseitige Hilfe der gewaltsamen Auseinandersetzung massiv vor. Der Mensch sei im Grunde gut.
Ich bringe diese These oft in Gespräche ein. Es scheint mir sowohl interessant wie auch relevant, von welchem Menschbild wir ausgehen. Gerade wenn es darum geht, dringende Herausforderungen anzugehen, tauchen früher oder später die eingangs erwähnten Annahmen zum Menschenbild auf: «So ist halt der Mensch» - gemeint ist: sicher nicht gut.
Bild: Streetart in Camden
Woher kommt diese Haltung?
Ich persönlich erlebe in meiner direkten Umgebung kaum etwas, was mich annehmen liesse, der Mensch sei grundsätzlich schlecht. Allerdings muss ich für diese Aussage meinen Medienkonsum ausblenden - und einige Urteile darüber, was eigentlich gutes Verhalten umfasst.
Denn ist es nicht so, dass unsere Einschätzung wesentlich von der Klassifikation abhängt, welche Verhaltensweisen wir denn als «böse» erachten? Ist es böse ein Stück Fleisch zu kaufen? Oder ein sehr billiges Kleidungsstück im H&M? Oder etwas auf Alibaba oder Amazon zu bestellen? Oder einen SUV zu fahren? Ein Smartphone zu besitzen? Eine Pensionskasse zu haben oder ein Aktienpacket? Oder denken wir an Morde, Vergewaltigungen, Völkermord, Sklaverei und dergleichen?
Würden wir einen kleinen Jungen mit Schlägen in eine gefährliche Mine treiben, damit wir ein Smartphone haben können? Nein? In der Wertschöpfungskette unseres Smartphones wird sich allerdings genau solches zeigen. Oder, wir halten uns ein Schwein und beschliessen dieses nie an die frische Luft zu lassen, sondern in einem engen Käfig, welcher nicht mal zulässt, dass sich die arme Sau mal umdreht. Dann jagen wir ihr einen Bolzen durch den Kopf – denn wir haben Lust auf Speck zum Frühstück. Wir finden der Klimawandel sei kein Problem und Krieg und Konflikt sei ein gutes Geschäft? Das sieht unsere Bank und die Pensionskasse wohl sehr ähnlich. Und wenn wir am längeren Hebel sind, dann lassen wir andere für uns schuften, gerne auch in ausbeuterischen Arbeitsbedingungen – Hauptsache unser Kleid ist günstig; oder?
Betrachten wir die Frage auf diese Weise, scheint unser Menschenbild beinahe auf den Kopf gestellt. Wir könnten uns jetzt darüber Gedanken machen, welche Datensätze uns denn zu der einen und welche zu der anderen Hypothese bewegen.
Aber was wollen wir eigentlich mit diesem gut und böse? Was soll diese schwarz-weiss Frage überhaupt? Ist es nicht die wohl gängigste These von Philosophie bis Psychologie und Verhaltensbiologie, dass der Mensch das Potential zum ganzen Spektrum an Verhaltensweisen zeigt – also weder im Grunde gut, noch im Grunde böse ist? Warum denn sollten wir uns auf solche pauschalen Aussagen überhaupt einlassen?
Eine Differenzierung würde uns sicher einiges bringen. Wie Robert Sapolsky – ein Biologe und Neurowissenschaftler in seinem Buch Gewalt und Mitgefühl - die Biologie des menschlichen Verhaltens aufzeigt, ist die Biologie menschlichen Verhaltens eine vielschichtige Angelegenheit, deren Bewertung als auch deren Ausprägung stets massgeblich durch den Kontext bestimmt ist.
«Allein die Tatsache, dass unsere Biologie in manchen Situationen so beschaffen ist, dass wir außerordentlich prosoziale Lebewesen sind, während wir in anderen Bereichen außerordentlich unsozial sind, zeigt, wie wichtig es ist, die Biologie unserer Reaktion auf Kontext und Umwelt zu verstehen.»
Also, wir sind in unserem Verhalten nicht direkt biologisch festgelegt, sondern durch unsere Biologie in einem bestimmten Kontext. Zu diesem Kontext zählen auch die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen. Und in diesem Kontext bewerten wir die moralische Qualität verschiedener Handlungen. Das heisst, dass wir durch Faktoren wie unsere Evolution als Spezies, unser individuelles Heranwachsen, unsere Prägung, neuronale Entwicklung usw. in einer bestimmten Situation; also inklusive all den kulturellen Faktoren, kaum anders können, als so zu handeln, wie wir es gerade tun.
Sapolsky sieht kaum Raum für freien Willen. Wir hören solch deterministische Positionen nicht gerne, wir können uns kaum als vorherbestimmte, unfreie Wesen verstehen. Das ist allerdings hier nicht der zentrale Punkt. Sondern, dass unsere Natur sowohl eine Erklärung für Verhalten liefert, welches wir gemeinhin für gut betrachten, sowie für grausames, niederträchtiges – aus unserer moralischen Perspektive, böses.
Diese Feststellung sollten wir allerdings noch einen Schritt weiter führen: wir wissen also ausgiebig darüber Bescheid, welche Verhaltensweisen wir statistisch gesehen in welchen Kontexten von Menschen erwarten können. Die meisten relevanten Kontexte entwerfen wir selbst – und viele davon aufgrund unseres Menschenbilds. Und so schliesst sich dieser Kreis auf gewisse Weise sehr unbefriedigend – solange wir das Potential darin nicht sehen. Gestalten wir unsere kulturelle Umgebung – die sozialen, wirtschaftlichen, politischen Faktoren – so, dass wir «das Gute im Menschen» befördern, dürfen wir auch von mehrheitlich ebensolchem Verhalten ausgehen. Ein Effekt nahe an selbsterfüllender Prophezeiung. Nicht weil wir im Grunde gut sind – sondern, weil sich unsere Natur – unser Verhalten – dermassen anpassungsfähig zeigt. Und das heisst heutzutage Anpassung an eine kulturelle, gesellschaftlich gestaltete Umwelt. Das Potential der Annahme, wir seine «im Grunde gut» ist, dass wir es sein könnten – wenn wir darauf vertrauend unsere Gesellschaft gestalten.
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